Sonntag, 20. Oktober 2013

38.Amsterdam Marathon



Vorbereitung:

Woche 1

Die Luft war raus nach dem Berlin Marathon in neuer Bestzeit. Gleich am Tag drauf melden sich die Fußballen mit extremen Schmerzen. Alles geschwollen und entzündet. Daher in Woche 1 nach Berlin wirklich nur das Nötigste gemacht. Als ortsansässiger und überzeugter Erfelder Ureinwohner natürlich den Halbmarathon auf dem heimischen Trainingsgelände „Kühkopf“ nur 4 Tage nach Berlin mitgelaufen. Danach war nun endgültig Zeit für eine 2 tägige Zwangspause. Die Füße waren nun komplett im Eimer und es ging sowieso nichts mehr. Noch den langen Lauf sonntags absolviert, so kam ich auf 57,3 Wochen Kilometer. Die Pulswerte waren weit weg von der Form der vergangenen Wochen.

Woche 2

Trotz aller Probleme irgendwie versucht wieder in die Spur zu kommen. 2 Tempoläufe, ein langer Lauf über 25km und 2 normale Einheiten. Macht zusammen 100,5km. Von den Trainingsdaten her schon besser. Aber die orthopädischen Probleme wurden immer schlimmer. Vom Erholungsfaktor will ich hier gar nicht erst anfangen.

Woche 3, die Marathon Woche

Gerade mal 3 Einheiten absolviert. Jedesmal ab km 8-10 schmerzen die Fußballen. Im linken Fuß noch dazu die bekannten Schmerzen an der Innenseite/Fußrücken. Daher läuft der linke Fuß auch nicht rund. Ein vernünftiges abrollen geht gar nicht mehr. Der Schuh klatscht nur noch so auf den Asphalt. Schlechteste Voraussetzungen für den Amsterdam Marathon.

Samstag 19.Okt

Um 6:30Uhr mit der Bahn nach Frankfurt. Von dort weiter nach Köln. In Köln erfolgt der Umstieg in den Zug nach Amsterdam. Hier die erste Verspätung. Ca.40 Minuten Wartezeit zusätzlich kommen oben drauf. Na gut was soll’s. Solche Verspätungen habe ich ja mit einkalkuliert. Alles läuft gut bis Arnheim. Plötzlich ertönt ohne große Vorankündigung die Meldung dass dieser Zug nicht nach Amsterdam Centraal fährt. Alle Passagiere nach Amsterdam sollen doch bitte aussteigen und einen anderen Zug in Richtung Amsterdam nehmen. Am besten gleich den nächsten, welcher bereits auf einer Plattform wartet. Damit kommt man dann schon mal bis Utrecht, und von dort gibt es einen Zug nach Amsterdam Centraal.
So langsam werde ich sauer. Aber alles noch im Plan und in der Zeit. Also schnell in den nächsten Zug eingestiegen, bei dem irgendwas vom Utrecht auf dem Schild steht. Puh! Gerade so gepackt. Viel Zeit zum überlegen gab‘s da nicht. Aber scheinbar war es die richtige Wahl. Dummerweise muss auch dieser Zug immer wieder unfreiwillig anhalten, so dass der Anschlusszug nach Amsterdam sehr knapp wird. In Utrecht also schnell raus. Alles strömt hektisch zum Anschlusszug. Da passiert der Supergau!

Treppen runter zum Bahngleis. Haufenweise Leute kommen mir entgegen. Ich muss ausweichen und knicke mit dem linken Fuß, samt dem kompletten Reisegepäck auf den Schultern um. Schmerzen, verdammt was für ein Mist! Das Außenband hat es voll abbekommen. Nein, das darf doch nicht wahr sein. Egal ich muss jetzt erst mal weiter zum Zug nach Amsterdam. Die Bahn nach Amsterdam ist total überfüllt. Ich stehe im Gang. Bewege vorsichtig den Fuß in alle Richtungen. Scheint noch alles zu funktionieren. Die Schmerzen lassen auch nach. Man merkt das natürlich, aber so wie es aussieht habe ich scheinbar nochmal Glück im Unglück gehabt. Wahrscheinlich nur das Band gezerrt. Trotzdem nicht gut und mich ärgert das maßlos. Und warum? Nur weil das mit der Bahn heute überhaupt nicht klappt. Normal wäre ich schon längst im Amsterdam und alles unfallfrei.

Der letzte Abschnitt nach Amsterdam, in der völlig überfüllten Bahn, ist geschafft. Ich bin in Amsterdam Centraal Station. Das 48 Stunden Amsterdam Ticket sehr günstig für 12€ gekauft. Weiter zur Tram. Irgendwie durchgefragt welche Tram den nun zum „Leidseplein“ fährt. Ein älterer netter Holländer, hilft mir weiter. Voll gepackt und mit der ausgedruckten Straßenkarte versuche ich die Unterkunft zu finden. Eins ist schon mal klar, ich wohne mitten im Touristenzentrum von Amsterdam. Hier wird man ja fast umgerannt. Was für eine Hektik. Da stehe ich überhaupt nicht drauf.

Endlich! Total geschafft erreiche ich die Unterkunft. Super klein, eng und alles auf mehreren Etagen. Die Toiletten sind so klein, dass man eigentlich überhaupt keinen Platz hat sich den Hintern abzuwischen. Die Knie schon press an der Tür. Die Zimmer sind auch nicht besser. Furzig klein. 8 Betten auf engstem Raum. Es mieft ohne Ende. Als erstes reiße ich das einzige Fenster auf (ca.50x50cm), bevor ich hier noch umkippe. Ob die Bettwäsche frisch ist? Wahrscheinlich nicht! Überall fliegen die Taschen auf dem Boden rum. Kaum Platz zum laufen. Schränke gibt es nicht, nur 5 kleine Boxen mit der Möglichkeit ein Vorhängeschloss dranzuhängen. Na immerhin. Ich schnappe mir die letzte freie Box, packe meine Wertsachen rein. Ein Vorhängeschloss hab ich mir in weiser Voraussicht mitgenommen. Das dies nicht das „Grand Hotel“ ist, war mir klar, aber so hätte ich das nicht erwartet. Nur noch raus hier und ab zur Marathonexpo die Unterlagen abholen.



Endlich in Amsterdam angekommen. Der Bahnhof Amsterdam Centraal



Die Unterkunft mitten im Touristengebiet "Leidseplein". Die weiße Tür ist der Eingang. Das Zimmer ist im Dachgeschoss.

Die Fahrt zur Expo über Tram und Metro dauert ca.1 Stunde. Gut zu wissen, das kann ich für morgen früh gleich einplanen. Das Schienennetz in Amsterdam ist leider nicht so leicht zu durchschauen wie etwa Wien oder Berlin. Um wirklich kein Risiko einzugehen werde ich mich morgen sehr früh auf den Weg machen. Gerade weil ich im Vorfeld gehört habe, dass am Marathontag die öffentlichen Verkehrsmittel nur bedingt fahren. Die Messe befindet sich in der Sporthallen Zuid, direkt neben dem „Olympisch Stadion“. Hier wird auch morgen früh der Marathon Start erfolgen. Die Messe ist zum Glück übersichtlich und gut organisiert. Ruck Zuck habe ich die Unterlagen und noch ein bisschen Zeit auf der Messe rumzuschlendern. Die angepriesenen Mizuno „wooden Clogs“ welche es beim Kauf von ein paar Laufschuhen gratis dazu geben soll, sind leider schon aus. Tja nix war’s mit neuem Wave Rider 17 zu Messe Preisen kaufen und noch „wooden Clogs“ geschenkt bekommen. Aber wenn ich schon mal da bin, dann werde ich den neuen Wave Rider gleich mal testen. Auf dem Laufband merke ich die Instabilität des umgeknickten linken Fußes. Das ist gar nicht gut und ich fürchte schlimmes.

Die Verabredung zur Pastaparty mit Daniela und Marc aus der Nähe von Iserlohn wird leider nichts. Alle Tickets für die Pastaparty sind schon ausverkauft. Sehr schade! So bleibt es nur bei einem kurzen Treff mit Plausch. Ich muss mich jetzt selbst versorgen und werde wohl in irgend so eine Touristen Pizzeria am „Leidseplein“ gehen. Am Ausgang der Messe entdecke ich ganz versteckt einen Infostand der öffentlichen Verkehrsmittel. Sicherheitshalber frage ich nochmal nach. Ja und tatsächlich, am Marathontag wird nur die Metro fahren! Keine Tram, kein Bus innerhalb des „Marathongebietes“. Gut zu wissen! Das kann ja lustig werden! Die Rückfahrt zur Unterkunft erfolgt mit dem Bus, geht ja heute noch. Das erscheint mir der schnellste Weg. Kaum im Bus macht mich der Busfahrer darauf aufmerksam, dass ich mit meiner Amsterdam 48 Stunden Karte gar keine Busse benutzen darf! Ja super! Das wird ja immer besser. Aber er meint, ich soll jetzt halt mitfahren! Sehr schön! Danke!



Die Marathon Expo befindet sich in der Sporthallen Zuid



Die 17.Auflage des beliebten Wave Rider von Mizuno wird auf der Messe vor dem offiziellen Verkaufsstart angeboten



Unterlagen abholen



Leider schon alle weg. Die limitierten "wooden Clogs" von Mizuno

Ich habe Durst, und was zu trinken brauche ich ja sowieso noch. Am Kiosk hole ich mir 1 Liter billigstes Wasser für 3,50€. Reinster Wucher, aber am „Leidseplein“ wohl normal. Inzwischen fängt es heftig an zu regnen. Nochmal schnell an den Bus/Tramstationen vorbei um die Abfahrtzeiten für morgen zu checken. So wie es aussieht fährt da morgen vor 8 Uhr gar nichts, oder bin ich zu blöd den Plan zu lesen. Egal wie, im Notfall muss ich halt zur Metro laufen. Das werden wohl so 2-3km sein. Aber was soll ich machen? Das ist alles irgendwie total beschissen hier! Völlig durchnässt komme ich zurück in die Unterkunft. Meine Zimmerkollegen/innen sind nun auch da. Richtig gelesen, die Zimmer sind gemixed! Die Luft steht! Kein Platz mehr zum bewegen. Ganz klar, von denen läuft keiner Marathon. Die sind hier alle nur zum Party machen da. Niemand spricht deutsch. Alles English im übelsten Slang. Auf engstem Raum packe ich meine Laufsachen für den Marathon zusammen. Die nassen Klamotten ausziehen. Zum aufhängen gibt es nichts. Gleich rein damit in den Schmutzbeutel. Das alles nervt total. Mir brummt der Schädel und zu allem Unglück fängt der umgeknickte Fuß an zu schmerzen. Ich muss hier jetzt raus was essen gehen, sonst dreh‘ ich durch. Die engen Treppen runter, der Fuß schmerzt. Das wird ein Fiasko morgen beim Marathon.

Ich fackele gar nicht lange rum, das gehen fällt mir sowieso schwer. Gleich zum nächst besten Italiener und die üblichen Spaghetti „aglio olio“ und Salat dazu bestellt. Ich sitze am Tisch der Fuß pumpt und schmerzt. Das ist ja nicht zum aushalten! Ein kurzer Griff in den Strumpf und die Ernüchterung ist da! Das Sprunggelenk ist geschwollen! Verdammter Mist! Das wird morgen nichts! Die Spaghetti und den Salat haue ich mir einfach nur so rein. Geschmacklich auch nichts Besonderes. Ich kann mich gar nicht entspannen. Kein Wunder, der Fuß pumpt. Ganz schnell wird bezahlt, ich muss raus und den Fuß bewegen. Ich humpele nur noch durch die engen Gassen. Den Start kann ich morgen vergessen. So komme ich keinen Kilometer weit! Ein kurzer Test wird gemacht. Ein paar hundert Meter joggen und prüfen wie sich das anfühlt. Mist das tut weh! Das geht überhaupt nicht! Eis zum kühlen wäre jetzt gut. Aber woher? Ich bin total verzweifelt. Da fährt man nach Amsterdam, nichts klappt so richtig und dann fällt auch noch der Marathon flach? Was für eine Horror Vorstellung! Das wird erst der Anfang sein, spätestens morgen früh ist der Fuß total dick. Man kennt das ja. Über Nacht schwillt der Fuß komplett an.



Abendessen mit Schmerzen. Erst der Salat



dann die Spaghetti "aglio olio". Geschmacklich schlecht

Zurück in der Unterkunft. Der Fuß muss dringend gekühlt werden. Ich zwänge mich in so einen mini Klo rein, hänge den Fuß irgendwie ins Waschbecken und lasse 20 Minuten kaltes Wasser drüber laufen. Das tut gut, aber ich kann ja nicht die ganze Nacht hier drin bleiben. Schlafen muss ich ja auch noch! Die Bandage hab ich dabei, da könnte ich mit Kompression nachhelfen beim Schlafen. Ich versuch’s mit der Bandage. Aber es wird immer schlimmer. Die Bandage drückt den Fuß ab. Wieder zurück ins Klo, Wasser drüber laufen lassen. Kalte Umschläge wären gut. Bloß wie? Ja klar, mit einem Buff-Tuch! Tuch schön nass gemacht, um das Sprunggelenk gewickelt und wieder ins Bett zum schlafen. Ständig wache ich auf, da immer wieder irgendjemand zur Tür rein kommt und Krach macht. Aber das ist auch wiederum gut, denn da kann ich den kalten Umschlag wieder frisch machen. Langsam nehmen die Schmerzen leicht ab. Die Umschläge helfen. Plötzlich, mitten in der Nacht geht wieder die Tür auf. Es kommt zum heftigen Streit von 2 Typen. Die sind beide nicht mehr nüchtern und so wie sich das anhört, hauen die sich gleich auf‘s Maul. Super, ich bin mittendrin und in 6 Stunden ist der Marathonstart! Nochmal den Umschlag wechseln und versuchen die verbleibende Zeit trotz allem Krach im Zimmer zu schlafen.

Sonntag 20.Okt

5Uhr, der Wecker klingelt. Schnell fertig machen und nur noch raus aus diesem Zimmer. Das Frühstück nehme ich auf der Treppe zu mir. Wie immer 2 Brötchen mit Banane und Honig. Kaffee gibt es keinen, und mein letztes Wasser ich auch schon fast leer. Die Schwellung vom Fuß hat abgenommen. Klar, ist das noch schmerzhaft, aber ich werde einen Start riskieren. Das wäre ja ein Jammer wenn das hier als Kaffeefahrt endet! Zeit ist egal, Hauptsache starten und vielleicht sogar durchkommen. Los geht es, den Beutel geschnappt und zur Tramstation.




Die ganze Nacht mit kalten Umschlägen gekühlt, am morgen noch leicht geschwollen und druckempfindlich



Frühstücken auf der Treppe

Ich gehe unrund, humpele etwas, leichte Schmerzen beim auftreten. Ich habe schon ganz andere Dinger zu Ende gebracht, aber das hier wird wohl die krasseste Aktion werden. Habe ich eine andere Wahl? Nein! Ich muss es wenigstens versuchen!

An der Tramstation stehen schon haufenweise Leute. Aber das sind keine Läufer/innen, sondern alles Amsterdam Nightlife-Leute welche auf dem Heimweg sind. Irgendwie müssen die ja auch heim! Nämlich mit dem Nachtbus! Perfekt! Da kommt er auch schon. Centraal Station steht dran! Das ist ein Glücksfall! Der Bus ist proppenvoll mit Besoffenen. Aber egal, ich quetsche mich mit rein. Was für ein Erlebnis. Aber dieser Bus bringt mich zur Centraal Station. Dort ist dann auch die Metrostation.

Die Metrostation ist wie ausgestorben. Keine Läufer, nichts! Nur eine Bahn steht schon da, mit Abfahrt um kurz vor 8Uhr. Wie? Was ist den hier los? Alles normal, die Metrobahnen fahren Sonntags erst gegen 8Uhr! Ich treffe nun doch auf einen Läufer. Wir steigen in die Bahn und warten darauf dass die Zeit vergeht. Der Läufer kommt aus Weißrussland und wird in Amsterdam seinen ersten Marathon laufen. Irgendwann bewegt sich der Zug, es geht weiter! Nochmal müssen wir beim Umsteigen eine Weile auf die nächste Metro warten, aber letztendlich sind wir kurz nach 8 Uhr an der Marathon Expo.

Bleibt also noch genügend Zeit für mich. Da war doch so ein Taping Stand. Evtl. lässt sich das lädierte Sprunggelenk stabilisieren. Stand gefunden, fast gar nichts los. Ich bin gleich dran. Problem geschildert, Fuß gezeigt. Hmmm….damit laufen? Eigentlich gar nicht gut. Ja, ist schon klar! Aber nicht starten wäre das schlimmste für mich. Bitte 1x Sprunggelenksstabilisation. So gut es eben geht. Ich muss es versuchen! Eine Physiotherapeutin gibt sich die größte Mühe mit meinem Fuß. Na dann, viel Glück! Ich bedanke mich mehrfach und sage zu ihr, “wenn ich damit durchkomme, dann komme ich nach dem Marathon nochmal vorbei!“



1x Sprunggelenksstabilisation bitte! Die Physiotherapeutin gibt alles



fertig getaped. Sprunggelenk stabilisiert. So muss es klappen!

Bisschen ungewohnt ist das schon mit so vielen Tapes am Fuß. Ich selbst hätte mir hier jetzt höchstens 2 Tapes geklebt. Aber es fühlt sich gut an. Rüber zum Olympia Stadion. Umziehen, Kleiderbeutel abgeben und rein ins Stadion. Sehr schön hergerichtet das historische Olympiastadion von 1928. Das hat schon was, jetzt hier mittendrin zu stehen. Sogar die Ränge sind etwas gefüllt. Stimmung ist gut. Die Startblöcke sind mit Kontrollen versehen. Es gibt quasi keine Chance sich in einen schnelleren Block zu schummeln. Viele im Block laufen sich 30 Minuten vorm Start warm. Verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Ich gehe lieber nochmal auf den Klo, welcher abseits des Blocks durch einen kleinen Zugang erreichbar ist. Sehr gute Idee vom Orga Team, an die Blocks Toilettenhäuschen zu stellen.

Wie üblich werden die Top Starter vorgestellt, und pünktlich um 9:30Uhr fällt endlich der Startschuss. Aus den Lautsprechern ertönt das beliebte „play it a live“ vom Safri Duo. Das Feld setzt sich in Bewegung. Tolle Atmosphäre dank der zahlreichen Zuschauern auf den Rängen. Eine halbe Runde im Stadion auf der Bahn ist noch zu laufen, bevor es durch den Ausgang nach draußen geht. Ich bin dabei! Wer hätte das noch gestern Abend gedacht? Ein bisschen wackelig, aber es scheint irgendwie zu gehen.

Viel Platz ist nicht auf den ersten Metern. Nur mit viel Mühe lässt sich ein 5’er Schnitt laufen. Leider auch außerhalb des Stadions. Es sind einfach zu viele Läufer/innen. Aber das macht gar nichts, für mich steht in erster Linie heil durchkommen mit dem geschwollenen Sprunggelenk. Auf dem breiten „Amstelveenseweg“ geht das schon etwas besser. Ich erhöhe die Pace. KM1 in 4:45min/km ist dennoch ganz schön langsam. Abzweig in den Vondelpark. Wieder weniger Platz zum laufen, aber das Feld ist schon ein bisschen auseinander gezogen. KM2 in 4:14min ist so wie ich mir das eigentlich vorgestellt hatte. Allerdings war in dieser Planung kein umgeknickter Fuß.

Das Sprunggelenk hält erst mal. Ich bekomme immer mehr Vertrauen, halte die Pace konstant um die 4:15min/km. Am Ende des Vodelparks geht es direkt weiter am „Singelgrachtkering“, einem der zahlreichen Kanäle von Amsterdam. Mit dem „Rijksmuseum“ kommt der nächste Highlight. Das Besondere ist diesmal, dass die Strecke über die „Museumsstraat“ direkt durch den Museumskomplex hindurchgeführt wird. Sehr schön! Weiter durch Amsterdam „Oud-Zuid“. Die 5km Messmatte zeigt mit 21:49min ganz klar, es wird heute unter diesem Umständen nicht um die Sub3 gehen. Trotzdem versuche ich an der 4:15min/km festzuhalten. Aber es ist sehr zäh und läuft irgendwie nicht rund. Mir dröhnt der Kopf. Ist ja auch kein Wunder, wenn man die ganze Nacht in dieser Miefbude kein Auge zumachen kann. Außerdem habe ich viel zu wenig vor dem Start getrunken.



Start und Ziel ist das "Olympisch Stadion" von 1928. Bildquelle: Daniel van der Ree



Einer der wenigen Highlights, das Rijksmuseum. Bildquelle: Markus Würfel

Die Strecke führt wieder in die Richtung Olympiastadion. Kurz davor kommt eine größere Wendeschleife, und schon ist man auf der anderen Seite vom Stadionweg. Die breite Masse des Läuferfeldes kommt uns jetzt entgegen. Abzweig in den Stadtteil „De Pijp“. Trotz aller Bemühungen die Pace zu halten, stoppe ich die 10km Durchlaufzeit bei 42:59min. Jetzt wird die Sub3 endgültig aus dem Kopf gestrichen. Es ist nicht nur das verletzte Sprunggelenk, ich bin einfach platt. Das war alles zu viel in den letzten Wochen. Jetzt muss man hier echt mal die Kirche im Dorf lassen. Es wäre doch schon super wenn ich hier unter 3:10 verletzungsfrei im „Olympisch Stadion“ einlaufen würde. KM11 und 12 schaffe ich noch einmal mit 4:15’er Pace zu laufen. Aber bei der nächsten Wendepunktstrecke auf der „President Kennedylaan“ lasse ich nach.

Es folgt der 11km lange Abschnitt an der Amstel entlang. Die Pace pendelt sich nun um die 4:20-4:30min/km ein. Die Stimmung beschränkt sich auf Stimmungsnester an der Strecke. Da ist dann aber meistens richtig was los. Deutsche und Niederländische Schlager dröhnen aus den Lautsprechern und jeder singt mit. Dazu kommen noch ein paar Boote auf der Amstel ebenfalls mit lautstarker Beschallung an Board. Das Sprunggelenk macht langsam Sorgen. Ein wenig Schmerzen beim Auftreten. Wir sind bei KM 15, da sind noch 27km zu laufen. Aufgeben kommt ja nicht in die Tüte! Also Zähne zusammenbeißen, das wird sich schon wieder geben. Sehr schön zu sehen, auf der Gegenseite der Amstel kommt gerade die Führungsspitze entgegen.

Das dauert ja ewig bis der Wendepunkt kommt. Man kann noch nicht mal die Brücke sehen. Langweilig dieser Streckenteil! Das ist fast so, als ob ich bei uns am Rhein entlang laufe. Nur dass hier ein überdimensionaler Mizuno Wave Rider Schuh auf dem Wasser rumfährt. Bei KM19,5 ist die Brücke auf die gegenüberliegende Seite endlich erreicht. Alles wieder rauf laufen! Ich bin platt. Mal schauen, der Halbmarathon Durchlauf gibt die Richtung vor. 1:31:27, na bitte das geht doch! Das Sprunggelenk hat sich scheinbar wieder beruhigt. Da müsste ich doch ne Sub 3:10 durchbringen können.

Da kommt Stimmung auf! Vom einem Boot auf der Amstel ertönt „Viva Colonia“ allerdings auf Niederländisch. Macht nix, den Refrain gröle ich auf Deutsch mit. Die Pace bleibt weiterhin stabil unter der 4:30’er Marke, also Kurs auf die Sub 3:10. Das wäre doch echt ok heute. Aber noch sind genug Kilometer zu laufen. KM25 Messmatte bei 1:48:21 überlaufen. Das ist bis hier eine gesamt Pace von 4:20min/km. Damit kann ich sehr gut leben. Auf komm‘ noch 17km durchziehen. Der Abschnitt an der Amstel ist nun auch erledigt, die Strecke zweigt ab in das Viertel „De Omval“.

Ganz leicht abschüssig geht die Strecke unter dem Autobahn Stadtring A10 durch. Bisschen erholen und ab durch die nächste Party Zone. Aus den Boxen dröhnt der Stampfbeat. Normal überhaupt nicht mein Ding, aber hier hilft es weiter. KM28 und KM29 in je 4:21min/KM abgedrückt. Das läuft doch besser als gedacht. Allerdings kommt das altbekannte Problem mit den schmerzenden Fußballen jetzt mit dazu. Weiter im Stadteil „Watergraafsmeer“. Den KM30 Marker stoppe ich bei 2:10:28. 2.Gel am Versorgungsstand reingedrückt.

Irgendwie gibt die Strecke nicht viel her. Das hatte ich mir alles anders vorgestellt. Besonders hier im Ostteil der Stadt da ist ja nichts zu sehen. Vorbei am Park „Frankendael“ KM31/32 mit 4:23 und 4:26min/km weiter auf Kurs. Nur noch 10km dann bin ich hier trotz aller Probleme durch! Da kann ich mir ja schon fast einen 5’er Schnitt erlauben, um am Ende unter 3:10 auf der Uhr zu haben. Aber noch ist das hier nicht durch. Unter der Bahnlinie durch in die „Molukkenstraat“. Die Strecke führt jetzt durch das Viertel „Indische Buurt“, ein multikulturelles Stadtviertel mit ca. 2/3 ausländischen Bürgern.

Ich bin jetzt echt platt, der Schnitt pendelt um die 4:30min/km. KM34 am „Lozingskanaal“ wird mit 2:28:19 gestoppt. Die Füße brennen. „Halte durch, das ist doch ein Klacks hier gegen den 100’er von Leipzig“, rede ich mir immer wieder zu. Über die Viertel „Oostelijk“, „Dapperbuurt“ und „Oosterparkbuurt“ erreichen wir wieder die Amstel knapp vor KM37. Die Brücke über die Amstel mit leichter Steigung macht mir zu schaffen. 4:39min für KM37. Das muss ja jetzt auch nicht sein! „Nicht hängen lassen! Auf reiß dich zusammen, dann wird das hier noch eine respektable Zeit!“

Die Strecke im Viertel „Oude-Pijp“ direkt am Kanal entlang ist wieder abwechslungsreicher und lenkt etwas ab. Da ist die „38“. 4:34min ist ok. 2:46:31 Gesamtzeit. Das passt! Noch einmal am „Rijksmuseum“ vorbei, nicht mal mehr 4km bis ins „Olympisch Stadion“. Der Kurs entspricht jetzt genau den ersten Kilometern, nur halt in umgekehrter Richtung. KM39 direkt am Eingang vom Vondelpark mit 4:33min/km voll im Plan. Die Stimmung im Park ist echt gut. Das hilft nochmal für die letzten 3km.

Auf geht’s zur Schlussoffensive! Das macht jetzt sogar Spaß, die platten Läufer/innen im Vondelpark zu überholen. KM40 in 4:35min. Gesamtzeit 2:55:39. Super, das hätte ich nicht erwartet. Noch 2km durchziehen! Der Lärmpegel steigt, je näher ich mich dem Stadion nähere. Ausgang vom Vondelpark ist passiert. Der breite „Amstelveenseweg“ ist wie eine Zielgerade, obwohl das Stadion noch nicht zu sehen ist. KM41 in 4:34min/gesamt 3:00:12. Da passiert nix mehr. Ich kann den letzten Kilometer genießen!

Abzweig zum Stadion. Das entschädigt doch jetzt ein wenig für den so vermurksten Amsterdam Trip. Vor mir glänzt das „Olympisch Stadion“ von 1928 in der Sonne. Alle 50 Meter eine Tafel mit den noch zu laufenden Metern. Rechts und links der Gasse jubelnde Zuschauer. Wie geil! Ein Blick auf die Uhr beim Einlauf ins Stadion. 3:04:30. Noch gut 300 Meter zu laufen. Los hau rein, dann bleib ich unter 3:06! Schlussspurt! Alles was noch irgendwie geht rausholen! Die letzten Meter. Die Brutto Uhr zeigt immer noch unter 3:06 an. Der Zielbogen kommt. Geschafft! 3:05:37 Hammer!

Überglücklich stehe ich im Zielauslauf, lasse mir die Medaille umhängen. Es ist noch keine 12 Stunden her, da lag ich mit Schmerzen und geschwollenem Sprunggelenk im Bett. Hatte die Hoffnung auf einen Start schon fast aufgegeben. Und jetzt 3:05! Der Fuß ist noch dran, mir geht gut! Was will man mehr!

Die Verpflegungsstände sind leider außerhalb vom Stadion. Mehrere Einweiser zeigen einem den Weg in die nächste freie „Verpflegungsgasse“. Was ist denn das für eine Abfertigung? Eine Banane, ein Getränk, ein paar Orangenschnitten und schon wird man regelrecht „weitergeschubst“. Hat man einmal den Versorgungsbereich verlassen, gibt es kein zurück mehr. Also das hätte man bestimmt besser lösen können. Es ist ja jetzt nicht so, dass sich die Finisher tot treten würden. Evtl. sieht das hier in einer halben Stunde anders aus, aber im Augenblick für mich etwas unverständlich.



Gestartet, durchgekommen, Zeit ok. Amsterdam Trip mit versönlichem Ausgang

Egal wie, ich hole meinen Läuferbeutel, dann schnell rüber in die Sporthallen Zuid zum Duschen. Gleich nach dem Duschen ist mein erster Gang auf die Marathonmesse zum Taping Stand. Die sind tatsächlich noch da. Die nette Physiotherapeutin von heute Morgen hat mich bereits entdeckt. Spontan falle ich ihr um den Hals, „Danke! Du hast mir den Amsterdam Marathon gerettet!“ Wir plaudern ein wenig, ich werfe noch 10€ in die Kaffeekasse und dann geht es zurück in die Unterkunft.

Außer der Metro fahren heute im Innenstadtbereich wegen des Marathons kein Bus und keine Tram. Nochmal 3km durch die Stadt latschen. Aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Am Abend gönne ich mir beim Italiener eine schöne Pizza und ein paar Biere. Diesmal hat es wenigstens geschmeckt. Der Amsterdam Trip hat letztendlich ein versöhnliches Ende gefunden. Trotzdem, das brauche ich nicht noch einmal! Auch ohne umgeknickten Fuß.



Da kann man ein paar Biere drauf trinken



Laufanalyse Amsterdam